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(Kommentare: 2)

Augen auf bei der Psychotherapeutenwahl!

Wenn du dich auf die Suche nach einer Psychotherapeutin begibst, blickst du vermutlich erstmal nicht durch.

Also guckst du bei Dr. Google. Oder du fragst einen Freund, deine Ärztin oder Verwandte. Google erzählt dir, du brauchst unbedingt Medikamente. Deine Freundin sagt: „Nein bloß nicht! Ich kannte mal einen, der kriegte davon eine Nasenfehlstellung!“ Dein Arzt ist vielleicht der Meinung, das sei auf jeden Fall etwas für eine Verhaltenstherapie. Von der Verhaltenstherapie hingegen hält deine esoterisch vorgebildete Mutter gar nichts, die sei doch nur oberflächlich, du solltest doch – aber bitte bei Neumond! – Bachblüten oder Johanniskraut nehmen. Sie habe mit diesen Mitteln ihren Mundpilz weggekriegt.
Und schließlich empfiehlt, jeden Widerspruch ausschließend, ein Nachbar: Tiefenpsychologische Therapie! Besser noch Psychoanalyse!! Das dauert zwar, aber man kommt an die Wurzeln. Eine Körpertherapeutin aus deinem Bekanntenkreis widerspricht: „Bloß keine Psychoanalyse! Du weißt dann hinterher zwar, warum du seit Jahren immer wieder depressive Episoden hast, hast aber keine Ahnung, was du dagegen tun kannst!“ „Ist ja auch nicht so wichtig“, wendet der Nachbar ein. „Du lernst eben, sie anzunehmen!“ Und dann gibt es ja auch noch Gestalttherapie, Akupunktur, Atemtherapie, Heilpraktikerinnen, Kügelchen und selbstgebackenes Brot. Ach ja: Vielleicht hast du ja einen toten Zahn in deinem Mund? Was? Hast du tatsächlich?? – Dann musst du dich ja auch nicht wundern!!!

Zuerst ein paar Infos
Du bist Eine(r) von 33 Prozent ...

Den vollständigen Text findest du in der folgenden pdf-Datei:

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Kommentare

Kommentar von Maria Hanel |

Bei meiner letzten Therapeutensuche hab ich in der ersten Sitzung alles regelrecht "ausgespuckt". Ich wollte, dass er so viele Infos wie möglich bekommt, um evaluieren zu können, ob er mir helfen kann. Doch genau diese Vorgehensweise hat wochenlang das falsche Bild über mich geliefert, weil er mir nicht geglaubt hat, dass ich es einfach gewohnt war über früher zu sprechen. Und ich war es gewohnt Therapeuten gegenüber zu sitzen. Doch für ihn war ich lediglich verlogen und manipulativ und nicht, wie ich beabsichtigt hatte, entgegenkommend.

Der Grat ist extrem schmal, wenn es um den ersten Eindruck geht. Was der Patient sieht, scheint dem Therapeut egal zu sein. Er kann absolut alles gegen ihn verwenden, denn er ist schließlich der Profi.
Mir gefällt die Ansicht, dass der Patient der Kunde ist und der Therapeut der Dienstleister, der auf den Kunden angewiesen ist. Aber im wahren Leben sieht das bei vielen leider nicht so aus.
Ich selbst habe meinem letzten Therapeut gesagt, dass mir bewusst ist, dass ich Patient Nr. 463895 bin und seine Anteilnahme nicht echt ist. Erstaunlicherweise hat er auch kaum bemüht mir das Gegenteil zu beweisen. Dazu hatte ich den Stolz zu sehr verletzt.

Wie viel Ehrlichkeit seitens des Patienten ist wirklich erlaubt, ohne Gefahr zu laufen aus dem "Vertrag" entfernt zu werden?

Antwort von Michael Mehrgardt

Liebe Maria,

danke für deinen Kommentar.
Ich finde es ein Armutszeugnis für die Psychotherapie, wenn Patientinnen sich so unsicher fühlen, wie sie sich korrekt und erwünscht verhalten sollten.
Wenn Betroffene die therapeutische Begegnung als einen - wie du schreibst - Grat erleben, auf dem sie ja leicht aus dem Gleichgewicht kommen können, spricht das nicht gerade für Empathie auf Seiten des Therapeuten.
Das Frage nach "echter/ unechter Anteilnahme" muss sicherlich jede Therapeutin für sich selbst beantworten. Hier geht es um Selbstschutz, Vorbeugung gegen Ausbrennen etc. Ich selbst habe meine Arbeit immer so erlebt, dass es eine echte Begegnung zwischen zwei Menschen, und zwar auf Augenhöhe, sein sollte. Und genau dies hat mich vor dem Ausbrennen oder emotionaler Überforderung bewahrt, weil ich gerade deshalb nie etwas vorgeben zu müssen glaubte, was ich nicht gefühlt habe. Ich bin nämlich der Meinung, dass es die Begegnung ist, die (im Idealfall) heilt - und nicht die Methode oder gar das Ego des Therapeuten.
Insofern: Ehrlichkeit der Patientin ist doch ein schönes Kriterium für einen Therapiefortschritt - sie ist mutig geworden, etwas Kritisches zu sagen!
Sollte ich mich dadurch als Therapeut verletzt fühlen, habe ich es gesagt. Und meistens hat diese Ehrlichkeit die Therapie vorangebracht ...

Herzliche Grüße von Michael M.

Kommentar von Maria |

Hallo Michael,

ich kann mir vorstellen, dass einige Therapeuten fälschlicherweise annehmen, dass das Zeigen von Anteilnahme, ja sogar zu viel davon, eine Art Sympathie auf Seiten des Patienten erzeugen soll. Etwa in die Richtung: Der Therapeut versteht mich mehr, als ich mir erhofft hatte.
Doch ich persönlich hätte mir gewünscht, dass jeder meiner Therapeuten professionell bleibt. Sobald ich das Gefühl bekommen habe, dass ich für "emotionale Entgleisungen" gesorgt habe, war mir klar, dass die Therapie nicht voranschreiten konnte - im Gegenteil. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Therapeut zu geschockt, traurig, wütend oder beleidigt war. Die Emotionen haben dort nichts verloren, so verrückt sich das anhören mag. Ich behaupte einfach mal (und bitte korrigiere mich), dass in dem therapeutischen Setting nur Raum für die Emotionen des Patienten ist. Und diese können alle Formen annehmen und sollten das auch dürfen. Dh. es sollte erlaubt sein zu weinen, zu lachen, aber auch zu schreien oder alles zusammen.

Aber du hast es am Schluss gesagt: Ehrlichkeit ist der Schlüssel. Daher finde ich es falsch, wenn der Therapeut schon von Anfang an lügt. Bei mir war es sowas wie: Ich kann Sie lesen und weiß, was in Ihnen vorgeht!
Tja, nur blöd, dass ich ihn besser lesen konnte und genau vorhersehen konnte, wie er auf was reagiert. Geglaubt hat er mir nie und doch hat es nur einen Satz gebraucht, um ihn zu brechen. Während er innerhalb eines Jahres nicht mal in die Nähe seines persönlichen Zieles gekommen ist.
Wichtig: Therapeuten sollten niemals unterschätzen, wie sehr sie unter Beobachtung stehen. Viele von uns mussten lernen Körpersprache zu lesen. Und ja, ich wurde schon bald auf die Couch verbannt, damit ich genau das nicht mehr tun konnte. Doch meine Ohren haben mir gereicht und den Rest hat mein Instinkt gemacht. Leider hat sich das anfängliche Gefühl bestätigt, dass der erste Eindruck immer der richtige ist. Und ich meine nicht das hoffnungsvolle "das könnte passen", sondern die leisen Hinweise des Instinktes, der darauf aufmerksam macht, dass hinter der Fassade eine riesige Enttäuschung lauert, die nur darauf wartet hervorzubrechen. Dass mich dies nicht zerstört hat, verdanke ich meinem Instinkt, der mich darauf vorbereitet hat. Somit konnte ich rechtzeitig langsam zurücktreten und bin so nicht von den fliegenden Splittern verletzt worden. Trotzdem habe ich dadurch gelernt, dass es keine gute Idee ist jemandem auch nur einen Hauch Vertrauen zu schenken - niemals.

Antwort von Michael Mehrgardt

Hallo, liebe Maria,
ich selbst habe Psychotherapie immer so verstanden, dass es letzten Endes eine klare menschliche Begegnung auf Augenhöhe ist, die hilft bzw Randbedingung der Heilung sein kann. Was du erlebt hast, klingt für mich eher nach Ent-Gegnung, also Vorenthalten einer Begegnung.
Weil Menschen, die in Therapie kommen, oftmals schwere Verletzungen durch Vertrauenspersonen erlebt haben - und damit existenzielle (!) Erschütterungen -, sind sie oft sehr gut darin, soziale Signale zu wahrzunehmen. Deshalb ist es mE wichtig, dass eine Therapeutin auch emotional reagiert, so dass der Hilfesuchende verlässliche Rückmeldungen erhält.
Dabei muss es natürlich völlig klar sein, dass die Emotionen des Behandlers nicht zum Thema oder gar Problem gemacht werden. Sie sollten einen sicheren Rahmen dafür bieten, dass die Patientin sich ausprobieren, heulen, schreien, schimpfen kann. Sie darf auch ihre niederen, fiesen etc Seiten kennenlernen und sich trotz allem sicher sein und akzeptiert fühlen können. Das muss ein Therapeut aushalten können, zumal er ja oft erstes "Übungsobjekt" ist und zB Aggressionen abbekommt - das ist doch ein erstes Signal des Fortschritts in der Therapie!
Wenn ich widersprüchlich oder ungerecht zu meinem Gegenüber bin oder gelogen oder "rumgeeiert" habe, bin ich stets froh, wenn die Patientin den Mut hat, mich darauf hinzuweisen, so dass wir dies klären können - ich bin mir bewusst, auch Fehler zu machen oder schlechte Tage zu haben. Aber wenn der Andere sich traut, mit mir darüber zu reden, kann ich doch auf ihn (und meine Arbeit) stolz sein!
Gleichwohl soll die Behandlerin auch zeigen, wo ihre Grenzen sind, aber nicht, um ihr Gegenüber damit zu beschuldigen oder zu bestrafen, sondern um ihm die Sicherheit einer klaren menschlichen Reaktion zu geben.
Andererseits sollte der Pat. auch das Recht auf eine "technische" therapeutische Beziehung haben. Das ist ja gerade die Sicherheit, die manche Patientin benötigt, um sich nicht mehr ständig um den Anderen kümmern und sich auf ihn beziehen zu müssen. Das habe ich stets akzeptiert. Wobei dies oft Ausgangspunkt für allmähliche Veränderungen hin zu emotionaler Öffnung war. Aber nicht sein m u s s !
Ich werde nachher mal den Fall der Patientin Vera A. auf den Blog stellen, die sich mehr Nähe und emotionalen Halt gewünscht hat - vlt findest du das interessant?

Bis demnächst, herzliche Grüße von Michael

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