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Meine Erfahrungen mit Verletzungen ...
... in Ausbildung und Beruf
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- Erfahrungen - Was Betroffene berichten
Meine Erfahrungen mit Verletzungen
... so manchen, gerade auch unsere Trainer, zu Selbstherrlichkeit und Ausbeutung der Patienten bzw. Ausbildungskandidatinnen.
Ich habe besonders von einem unserer Gurus - dessen Name nicht genannt werden darf ;-) - so viele aggressive und abwertende Breitseiten abbekommen, dass ich 4 Jahre lang immer kurz vorm Hinschmeißen war. Andere Teilnehmer wurden ausgebeutet, indem sie bspw kostenlose Gartenarbeit in der toskanischen Hitze - und bei ständiger Vipern-Gefahr! - verrichten mussten und sich einreden ließen, dies sei therapeutisch wertvolle „Körperarbeit“. Einige der Teilnehmerinnen mussten sich immer wieder vor sexuellen Nachstellungen in Sicherheit bringen, welche der jeweilige Trainer geschickt als Aufforderung zu „Experimentierfreude“ und „persönlichem Wachstum“ tarnte. Das nahm mitunter Züge von Gehirnwäsche an.
Fazit
Etwa 40 % von all diesen therapeutischen Erfahrungen halte ich im Rückblick für lernenswert. Die restlichen 60 % haben mir deutlich gemacht, wie ich als Therapeut NICHT sein will – vielleicht sogar eine noch wichtigere Lernerfahrung! Diese Trainer – es waren vor allem Männer! – waren für mich wirklich gute schlechte Lehrer! Immerhin inspirierte mich deren selbstkritikfreies Agieren zu der Beschäftigung mit der Frage, wie denn Wahrheit in der Therapie entstehen könne. Daraus wurde schließlich meine Dissertation über Erkenntnistheorie und Ethik in der Psychotherapie.
Was vielleicht am schlimmsten war: Die meisten Auszubildenden dachten nach jeder Verletzung: Genau! Das hab‘ ich gebraucht! Gut, dass ich so massiv konfrontiert worden bin!! Dass es sich in Wirklichkeit um Übergriffe und Anmaßungen handelte, wurde mir erstmals klar, als ich auf einer Tagung Andere von ihren verletzenden Erlebnissen in der Ausbildung erzählen hörte.
Auswirkungen auf meine Arbeit
In dieser Zeit arbeitete ich zuerst in einer Klinik für Alkohol- und Medikamenten-Abhängige, schließlich in einer stationären Drogeneinrichtung. Immer mehr wurde mir klar: Auch in diesen Settings wurde massiv mit vermeintlich therapeutischen Drohungen, Kränkungen und Strafen gearbeitet! Patientinnen wurden in der sogenannten Römischen Arena niedergebrüllt; Patienten wurden entlassen, wenn sie sich verliebten; Klienten bekamen ein Türblatt auf den Rücken geschnallt, wenn sie ihre Spiegel nicht streifenfrei putzten.
Ich muss zugeben: Anfangs machte ich mit, voll von eigenen Erfahrungen mit angeblich heilsamen Konfrontationen. Mir gefiel es, Macht zu besitzen und Wirkung zu haben. Zum Glück bemerkte ich, dass es sich um schädliche Introjekte, also „Geschlucktes“, handelte und konnte dies abschütteln.
Aber ich wurde – und deshalb möchte ich all diese Erfahrungen nicht missen – sensibel dafür, wie man sich als Patientin oder Patient fühlt, wie schwer es für sie sein muss, sich gegen Verletzungen, Erniedrigungen, Nötigungen zur Wehr zu setzen. Mein Therapeut, denken sie also, will mich doch heilen! Also ist alles gut, was er macht! Also stimmt MIT MIR etwas nicht, wenn ich mich verletzt fühle!
Fragen Sie bitte Ihre Patientin und Ihren Patienten!
Fortan habe ich Menschen, denen ich gegenüber saß, nach ihren Erfahrungen von Verletzungen gefragt. Ich möchte alle Fachleute ermutigen, dies immer wieder zu tun! Und bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, stellt auch immer wieder die Frage: Habe ich Sie mit irgendetwas verletzt?
Die Berichte von Betroffenen
Diese Erlebnisse kommen aus allen Richtungen und Schulen der Psychotherapie und Psychiatrie.
Hier sind ihre Schilderungen:
Anja S gewinnt einen Professor
… und verliert ihren Job, ihre Doktorarbeit, ihren Ruf und beinahe ihr Leben. Ihr Therapeut klebt ihr ein Etikett auf die Stirn mit der Aufschrift: narzisstisch!
Kristin, das Ego-Monster,
… kann ihrem Psychologen leider auch nicht helfen!
Vera A überlebt nur knapp
… 8 Monate Klinik. Sie sucht Halt und Wärme, erfährt aber Desinteresse, Kälte und Vernachlässigung.
Andreas O sucht Heilung
… und findet sich im Exil wieder.
Jasmin R hat einen Ausraster
… als Therapeuten. Und danach hat sie es mit einem Schläfer zu tun.
Moira D hat einen Spiegel
… den sie Fachleuten vorhält. Sie meint, Selbsterkenntnis sei der erste Schritt zur Besserung. Für Therapeuten!
Das sind nur einige Schilderungen aus einer Vielzahl von therapeutischen Verletzungen, von denen mir immer wieder berichtet wurde und wird.
Übrigens findest du diese Berichte auf einen Blick in der Rubrik Erfahrungen.
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Kommentare
Kommentar von Jasmin Reis |
Ich finde es bewundernswert, lieber Michael, wie dein Weg so war. Wenn ich das so lese, dann denke ich: "Also ich persönlich hätte tatsächlich hingeschmissen." Ich finde deine Offenheit großartig.
Nach meinen gesamten Therapieerfahrungen kann ich für mich sagen, dass ich damals bei dir angekommen bin. Wichtig für die Zusammenarbeit, aber noch wichtiger für mich ist gewesen das Gefühl, einfach da sein zu dürfen, die Tatsache, dass ich nicht in eine Schublade gesteckt und verurteilt wurde, wurde nach und nach größer. Und die Angst "nicht richtig zu sein" wurde schnell weniger. Herzliche Grüße, Jasmin Reis
Antwort von Michael Mehrgardt
Liebe Jasmin,
vielen Dank für deine positiven Zeilen. Weißt du, für mich ist es eine gute Möglichkeit des Lernens, wenn der Lehrer, der einen ausbildet, sowohl positive als auch negative Seiten hat. Dann ist man gezwungen, selbst zu entscheiden, was man übernehmen möchte und wovon man sich lieber distanziert.
Auch wenn das bei mir etwas gedauert hat ...
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