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(Kommentare: 1)

Risiken und Nebenwirkungen einer Psychotherapie

Manchmal ist Psychotherapie das Problem ...

... bedeutet dies, dass du krank bist und nicht etwa verrückt, rücksichtslos oder unnormal. Viele andere Menschen leiden unter ähnlichen Symptomen wie du. Es kann hilfreich sein, solche Personen kennen zu lernen. Sie können dir von ihren Erfahrungen berichten und vielleicht auch davon, wie sie die Probleme überwunden haben. Du erlebst, dass du nicht allein bist.
Wenn dir dies wichtig ist, frage deine Therapeutin, ob sie Gruppentherapie anbietet.

Freunde und Co
Dir nahe stehende Menschen erfahren von deiner Krankheit und können lernen, wie sie mit dir und deiner Erkrankung umgehen können. Du kannst ihnen erklären, wie du gerne behandelt werden möchtest und was dir nicht so gut tut.
Es kann hilfreich sein, wenn deine nächsten Angehörigen mit dir gemeinsam zu einer Sitzung kommen und sich Informationen und Instruktionen von deinem Behandler geben lassen. Möglicherweise ist es dir andererseits wichtig, die Therapie ganz für dich alleine zu haben.
Meines Erachtens sollte deine Therapeutin dich darin beraten und dir die Entscheidung überlassen, ob du dies wünschst.

Schutzraum
Eine Krankheit schützt dich vor unberechtigter Kündigung. Sie ermöglicht unter Umständen Krankschreibungen. Sie erlaubt dir, professionelle Hilfe zu Lasten deiner Krankenkasse in Anspruch zu nehmen. ABER:

Vorsicht: Etiketten!
Andererseits birgt eine Diagnose auch Risiken. Das, was eine Diagnose bezeichnet, existiert ja nicht auf dieselbe Weise, wie bspw Flöhe existieren oder Grippeviren. Vielmehr ist zB die Bezeichnung Depression oder Panikstörung oder Borderline-Störung eine Übereinkunft von Wissenschaftlerinnen, eine Ansammlung von bestimmten Symptomen mit eben diesem Begriff zu belegen.

Insofern ist eine Diagnose eine Etikett,
das fortan auf deiner Stirn geschrieben steht.

Etiketten sollten auf Flaschen, nicht aber auf Menschen geklebt werden! Wenn man nicht achtsam mit Diagnosen verfährt und über sie aufklärt, haben sie Folgen:

Sich selbst erfüllende Prophezeiung
Dieser Begriff will sagen, dass allein die Diagnosestellung einen negativen Einfluss haben kann, sowohl auf dich selbst als auch auf andere. Sie kann wie eine Vorhersage wirken, die sich, egal ob sie richtig oder falsch ist, selbst bestätigt:

Eine Diagnose neigt dazu, sich selbst zu
bestätigen und zu verfestigen.

Solche Effekte können das Leiden chronifizieren, ausweiten und verstärken.

Was du selbst vielleicht denkst:
Ich bin krank und schwach. Wegen meiner (Diagnose X) kann ich das nicht! Ich muss mich schonen. Ich werde (Anforderung Y) nicht schaffen! Andere sehen mir das an!
Vielleicht benutzt du deine Diagnose als Entschuldigung, als Ausrede: Ich konnte wegen meiner Zwänge nicht aufräumen! Ich gehe lieber nicht mit ins Kino – ich könnte dort ja eine Panikattacke kriegen! Du machst vielleicht Dinge, die du eigentlich tun oder an denen du wachsen könntest, nicht mehr.

Was Partnerinnen und Freunde vielleicht denken:
Ich muss ihn schonen! Ich kann sie nicht ernst oder für voll nehmen! Es (Streit Z) liegt an ihm, ich habe das immer gewusst! Es sind nicht nur ihre Waschzwänge, sie ist ja immer schon so zwanghaft gewesen! Kein Wunder, dass er depressiv geworden ist, er hat früher schon X falsch gemacht!
Andere könnten dich also abwerten und dir nichts mehr zutrauen. Sie könnten deine berechtigten Wünsche oder Abneigungen auf deine Diagnose, deine vermeintliche Schwäche oder Einschränkung zurückführen.

Was Andere vielleicht denken:
Dein Arzt führt deine Rückenschmerzen auf deine Depression zurück und untersucht dich nicht gründlich. Immer wieder musste ich als Psychotherapeut erleben, dass zB eine Ärztin ihre (meine) Patientin beruhigte, ihre Brustschmerzen würden durch ihre Herzphobie ausgelöst; anderntags wurde eben diese Patientin wegen eines Coronar-Verschlusses in die Notaufnahme gebracht.
Das heißt: Wenn dein Arzt von deiner psychiatrischen Diagnose Kenntnis hat und dich deshalb nicht genauer untersuchen will, solltest du auf einer vollständigen Abklärung bestehen:

Sag deiner Ärztin: Man kann auch Flöhe
und Läuse haben!

Was deine Therapeutin vielleicht denkt:
Wenn du in deiner Therapie nicht weiterkommst oder die Hausaufgaben öfters nicht erledigst, könnte sie der Meinung sein: Vielleicht war die ursprüngliche Diagnose nicht ausreichend. Statt einer leichten depressiven Episode liegt eine rezidivierende (wiederkehrende) schwere Depression vor. Oder gar eine Persönlichkeitsstörung. Da letztere als schwer behandelbar gilt, schiebt sie dir sozusagen die Schuld am Therapieversagen zu. Denn an mir selbst, denkt sie, oder an meiner Methode kann es ja nicht liegen!
Oder dein Therapeut wirft dir sogar – weil du ja nie deine Aufgaben erledigst! – Nichtbefolgung ärztlicher Anordnungen vor und schreibt in seinen Bericht: Non-Compliance, ICD 10-Nr.: Z91.1. Jetzt weiß jede weitere Person des Gesundheitswesens, dass du eine nicht-kooperative Patientin bist!

Und auch Versicherungen, Behörden denken:
Diese Person sollten wir nur gegen Risikoaufschlag versichern! Diese Lehrerin sollten wir lieber nicht verbeamten! Ach, Sie waren wegen eines Burnout ein halbes Jahr krankgeschrieben!? Dann sind Sie ja nicht belastbar …
Auf keinen Fall solltest du beim Abschluss einer gesundheitsbezogenen Versicherung (Kranken-, Berufsunfähigkeits-, Tagegeld- etc. Versicherung) solche Diagnosen und Behandlungen verschweigen! Du kannst sicher sein, dass im Leistungsfall die Versicherungen bei Ärzten so geschickt nachfragen, dass sie dies in Erfahrung bringen. Das könnte bedeuten, dass du einerseits 20 Jahre brav deine Beiträge bezahlt hast, dass anderseits jetzt die Leistung verweigert oder gemindert wird!

Also lieber keine Therapie machen??

Den vollständigen Text findest du in der folgenden pdf-Datei:

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Kommentare

Kommentar von Maria Hanel |

Ich bin sehr stolz darauf, dass ich es allein geschafft habe meine Dämonen einigermaßen im Griff zu haben. Heißt: Erniedrigungen und ähnliches haben mich nicht an meinen Fähigkeiten zweifeln lassen. Ich habe immer nur mir selbst geglaubt und nicht anderen.
Heute habe ich verschiedene Diagnosen, die für mich keinen Sinn ergeben, weil sie nicht wirklich auf mich zutreffen. Daher bezeichne ich mich auch nicht als psychisch krank. Ich habe gewisse... Schwierigkeiten, aber ich sehe sie nicht als Krankheit.

Aber es ist unfassbar, wie vielen der oben beschriebenen Punkte auch ich gegenüber sitzen musste. Mein "Liebling": "Wenn Sie akzeptiert werden möchten, dann MÜSSEN Sie sich ändern!"

Ich möchte festhalten, dass ich mich genauso mag wie ich bin. Ich habe viele Jahre gebraucht, bis ich meine Schüchternheit weg bekommen habe. Ich musste lange lernen, bis ich erkannt habe, dass ich für Ehrlichkeit nicht mehr bestraft werde. Und ich musste erst lernen, dass ich Fragen stellen darf und aussprechen darf, was ich denke ohne mich sofort ducken zu müssen. Ich darf endlich, endlich ich selbst sein. Wenn mich jemand so nicht akzeptieren kann, dann muss sich diese Person ändern, aber sicher NICHT ICH!

Bonus: In Klinken wird gern gesagt: "Nicht Sie sollen hier sitzen, sondern die anderen da draußen."
Dabei wird versucht den Insassen umzuprogrammieren, obwohl doch die anderen Schuld sind?! Das verstehe wer will.... ich nicht.

Antwort von Michael Mehrgardt

Liebe Maria,

Danke für deinen interessanten Kommentar!

Ach ja, die Diagnosen ...! Diagnosen sind Konventionen, dh Vereinbarungen. Insofern könnte man sagen: Die von den Diagnosen bezeichneten Krankheiten existieren in einem eigentlichen Sinn gar nicht bzw nur in den Köpfen: der Patientinnen, der Angehörigen, der Therapeutinnen, der Ärzte, der Versicherungen ... Und dort können sie schlimme Dinge anrichten.
So wie die offizielle Psychotherapie Diagnosen anwendet, transportieren sie oft Botschaften an den Pat. wie: Du bist gestört, anders, unnormal, minderwertig ... Sie erzeugen also einen qualitativen - und damit normativen und abwertenden - Unterschied zwischen Gesunden und Kranken.

Ich finde viel wichtiger, ob und wie sehr ein Mensch leidet. Das schreibst du ja auch: Du sprichst von Schwierigkeiten statt von Krankheit. Ich sehe das auch so: Patient:innen unterscheiden sich von "Normalen" dadurch, dass sie mehr an (normalen!) gesellschaftlichen Prozessen leiden. Ich finde auch das gern benutzte Wort "Störung" sehr abwertend: Es geht doch nicht darum, ob jemand Funktionen nicht erfüllt und schnellstmöglich wieder repariert werden muss!

Ich werde nach und nach auf meinem Blog viele kritische Beiträge zur sog. Richtlinien-Psychotherapie veröffentlichen und freue mich auf weitere Kommentare von dir (und vielen anderen Menschen).

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