(Kommentare: 3)
Verletzungen in der Psychotherapie - die 2. Geschichte
Kristin bekommt die volle Breitseite
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- Erfahrungen - Was Betroffene berichten
(Kristin erzählt weiter:)
Ich, das Ego-Monster!
Zum Ende der ersten (!) Stunde kam er dann aber auch zu seiner Einschätzung über mich: Ich bin so, weil ich Aufmerksamkeit will, immer im Mittelpunkt stehen, eine, die bei jeder Party die Nummer Eins ist und es liebt, gesehen und bewundert zu werden. Es war ein etwas längerer Monolog, irgendwann habe ich ihn nur noch angegrinst und am Ende ganz ruhig gesagt, dass er damit komplett falsch liegt.
Auf dem Weg zum Auto hab ich natürlich erstmal wieder geheult. Zu Fuß durch das Gelände der Uniklinik. Wahrscheinlich dachten die Leute, ein naher Angehöriger sei gestorben.
Frau Patientin, mir geht es ja so schlecht!
Im Grunde war klar, dass für mich mit ihm keine Therapie möglich ist. Trotzdem ging ich noch einige Male hin. Irgendwie wollte ich ihm nicht den Gefallen tun, sofort abzubrechen. Es blieb weiterhin schwierig. ...
Ungefähr beim dritten Termin entschuldigte er sich für seine Einschätzung über mich, er hätte damit komplett falsch gelegen.
Zu dem Zeitpunkt ging es auch um die Verlängerung meiner Rente. Mit ihm reden konnte ich darüber gar nicht. Er meinte, wenn ich zum Gutachter müsste, dann sei das ein ganz normaler Vorgang. Trotzdem bat ich ihn um ein Attest für die Rentenversicherung. Ich wollte lediglich, dass er mir bescheinigt, dass ich bei ihm eine Therapie mache.
Er lehnte es ab. Beim nächsten Treffen frug ich ihn dann, warum? Er sagte mir, dass es für ihn ziemlich viel Arbeit sei und dass es nicht mit einem Satz getan wäre. Zudem müsste er das Ganze seinem Chef vorlegen, und das wäre ihm alles zu umständlich.
Dann war ich tatsächlich nochmal da. Er entschuldigte sich ein zweites Mal sehr ausführlich für seine Einschätzung der ersten Stunde. Sagte sogar, dass ihm das ständig durch den Kopf gehen würde und er deshalb nicht einschlafen konnte.
Die Entschuldigung fand ich gut. Ich hatte das Gefühl, sie war ehrlich gemeint. Trotzdem änderte es für mich nichts. Er sprach weiterhin sehr viel über sich. Allerdings habe ich mich auch deutlich zurückgenommen. Ich ging jedesmal mit einem unguten Gefühl zu ihm und war im Grunde froh, wenn die Stunde vorbei war.
Herr Therapeut, ich kann Ihnen auch nicht helfen!
Ich habe ihm dann einen Brief geschrieben und ihm mitgeteilt, dass es mit uns nicht passt und ich die Therapie beenden werde. Ich hätte es auch ausführlicher erklären können, aber das war mir zu mühselig. Per Mail ging das nicht, denn auf meine Nachfrage verweigerte er mir die Herausgabe seiner Email Adresse.
So, das waren meine Erfahrungen mit dem Therapeuten [X]. Obwohl es schon eine ganze Weile her ist, strengt es mich schon an, das aufzuschreiben.
Abschließend möchte ich noch bemerken, dass ich es grundsätzlich gut finde, auch etwas über das Leben meines Therapeuten zu erfahren. Ehrlich gesagt, ehrt es mich sogar ein bisschen. So wie es bei ihm abgelaufen ist, ging es allerdings gar nicht.
Zum einen war die erste Stunde dafür komplett falsch gewählt und später hatte ich eher das Gefühl, ich sei manchmal seine Psychologin.“
Schreibe doch einen Kommentar dazu, sei es als Patient, sei es als Therapeutin. Ich bin neugierig auf deine Meinung.
Diesen Erfahrungsbericht findest du zum Nachlesen oder Ausdrucken in der folgenden pdf-Datei.
Kommentare
Kommentar von Silke |
Das ist eine schlimme Erfahrung. Die Patientin hat das gut erkannt und gemeistert. Ich hätte an ihrer Stelle auch versucht, alles "richtig" zu machen, damit ich keine Schwierigkeiten oder noch mehr Fehldiagnosen bekomme. Ich wäre extrem gestresst und könnte auch nicht mehr schlafen, aus Angst man könnte mir noch mehr Probleme machen. Für mich ist eine Psychotherapie ohne Vertrauen undenkbar. Und dieser Therapeut braucht dringend selber Hilfe. Es kannnicht angehen, dass so ein Therapeut Gutachten schreiben darf und den Patienten damit wirklich schadet. Es gruselt mich richtig
Antwort von Michael Mehrgardt
Liebe Silke,
ich danke dir für deinen Kommentar. Schön finde ich, dass du das Verhalten der Patientin so würdigst. Viele andere wären nicht nur verunsichert, sondern würden sich selbst vielleicht die Schuld an dem Verhalten des Therapeuten geben. Und, schlimmer noch, sie würden möglicherweise den Mut zu einem neuen Therapieversuch verlieren.
Hast du auch schlechte Erfahrungen gemacht?
Herzliche Grüße von Michael
Kommentar von Maria |
Das erinnert mich an eine Patientin (ich bin Arzthelferin). Sie ist Therapeutin und drehte vor ihrer ambulanten OP komplett durch, anstatt einfach meinem Chef zu glauben, dass alles gut gehen wird. Nach erfolgreicher OP und Eigenreflektion hat sie sich bei meinem Chef für ihr Verhalten entschuldigt. Und erwähnte dabei, dass viele Therapeuten ihren Beruf wählen würden, weil sie selbst einiges zu verarbeiten hätten.
Daran musste ich beim Lesen dieses Erlebnisses denken.
Mir ist klar, dass jeder einen persönlichen Knacks hat. Aber wenn jemand instabil ist, sollte er auf gar keinen Fall auf andere instabile Menschen losgelassen werden. Gibt es nach der Ausbildung/dem Studium bzw. davor kein Gutachten? Ich bin generell dafür, dass im Gesundheitsbereich besser auf die Qualität geachtet werden sollte. Es gibt auch viele unfähige Ärzte.
Allerdings ist es ein - mir neues - Tief, wenn der Therapeut seine Probleme über die des Patienten stellt. Es ist schon schwer genug sich einem Fremden anzuvertrauen. Dann auch noch die Enttäuschung zu überwinden und mehrmals diesen Egoisten aufzusuchen zeugt von Verzweiflung, die er hätte sehen MÜSSEN! Aber natürlich war sein Ego im Weg.
Frage: Hat er sich Notizen gemacht? Mein letzter zB nicht, ich aber schon. Und trotzdem hatte er immer recht. Schlafen konnte er aber sicher trotzdem.
Ich glaube nicht eine Sekunde lang, dass er deshalb schlaflos war, Kristin. Das war nur eine Taktik, um dich als Zuhörerin behalten zu können. Und die Story mit seiner Vergangenheit? Er soll es geschafft haben? Ehrlich? Er ist das beste Beispiel dafür, dass viel zu viele Unmenschen auf Hilflose losgelassen werden und es offenbar kaum jemanden interessiert, außer Hr. Mehrgardt. Das bringt mich erneut zu einem dringend benötigten Tool, das die Stabilität von zukünftigen Therapeuten testet.
Antwort von Michael Mehrgardt
Liebe Maria,
deine Erinnerung an die Therapeutin vor der OP lässt mich an einen (bösen?) Scherz über Therapeuten denken: "Normale" Patientinnen brauchen 1 - 2 Stunden Therapie pro Woche, Therapeuten 20 - 30.
Ich finde es nicht so schlimm, wenn Therapeuten über eigene Probleme ("persönlicher Knacks") zu ihrer Berufswahl kommen. Sie müssen aber eine gute Eigenreflexion, sprich: Lehrtherapie, durchmachen, aber nicht so verkopft wie oft in der Psychoanalyse, sondern so, dass es wirklich "ans Eingemachte" geht! Im positiven Fall können sie sich vlt sogar besser in ihre Patienten hineinversetzen, weil sie sich selbst in der Patinnenrolle erleben. Im negativen Fall projizieren sie ihre eigene Macke auf die Hilfesuchenden, und das kann sehr negative Konsequenzen für diese haben!
Lehrtherapie in diesem Sinne oder auch nur Selbsterfahrung wird meines Wissens nicht mehr für die Ausbildung verlangt. Was jede Therapeutin an Eigenerfahrung machen muss, sind eher Manuale zur Selbstkonditionierung: "Nicht mehr rauchen", "Abnehmen", "Selbstkontrolle", "Entspannung" und so. Das hat nichts mehr mit Selbstreflexion zu tun.
Ich danke dir für deine wertvollen Beiträge!
Einen herzlichen Gruß sendet dir Michael
Kommentar von Silke |
Bevor ich bei Michael gelandet bin, war ich noch für kurze Zeit mei einem anderen Psychologen. Da habe ich mich von Anfang an nicht wohl gefühlt. Bei einer Entspannungsübung fing er erst leise, dann lauter an zu schnarchen. Das ist erstmal saukomisch, wenn es einem aber schlecht geht, treibt es einen eher zur Verzweiflung. Dann hatte ich ein großes Problem mit meiner Mutter und ständig Schuldgefühle, irgendwann hat er mich total angefahren, wie ich meine Mutter behandeln würde, wäre ja unerhört. Ich war fix und alle, denn ich habe ja alles für sie getan. Das hat mich so getroffen und mir ging es dann schlechter, ich wusste gar nicht mehr, wie ich meinen Zustand bessern konnte. Zum Glück bin ich bei Michael gelandet und da ging es bergauf. Ich habe das bis heute nicht verstanden.
Antwort von Michael Mehrgardt
Liebe Silke,
ich danke dir für deinen Beitrag.
Natürlich ist so etwas erst einmal saukomisch, aber ich kann mir gut vorstellen, wie verunsichert du warst!
Dass er dich dann auch noch wegen deiner Mutter so abkanzelt, geht gar nicht! Natürlich ist man als Therapeut nicht mit allem einverstanden, was Patienten tun oder sagen. Aber wie anmaßend ist es, seine Meinung zu einem therapeutischen oder gar moralischen Maßstab zu machen!
Zunächst sollte die Patientin Raum haben, ihre Version der Geschichte zu erzählen und ihre Gefühle dazu frei und ohne Angst und Schuldgefühle zu äußern. Erst danach kann man gemeinsam - falls das sinnvoll ist - auch die Rolle des Patienten kritisch betrachten und Veränderungen des eigenen Verhaltens besprechen und ggf einüben. Aber die Bewertung, ob es sich um ein angemessenes Verhalten handelt oder nicht, sollte immer nur Ergebnis des gemeinsamen Gesprächs sein!
Herzliche Grüße, Michael
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