(Kommentare: 3)
Verletzungen in der Psychotherapie - die 5. Geschichte
Jasmin Reis und der große Knall
- Erschienen in:
- Erfahrungen - Was Betroffene berichten
(Fortsetzung von Jasmins Bericht)
... Der Therapeut sprang auf, völlig außer sich. Machte mir lautstark Vorhaltungen, dass ich doch das Allerletzte wäre und unkooperativ. Den Hammer hat er gebracht, als er sagte – und das wird‘ ich nicht vergessen: Sie werden eine Verhaltenstherapie sowieso nicht genehmigt kriegen, weil Sie die Stunden hier schon verballert haben!
Dann hab ich gesagt: Dann kann ich ja jetzt auch gehen. Und bin gegangen.
(Und da hab ich mir total unsicher und idiotisch komischerweise, und ich weiß überhaupt nicht warum, meine erste Schachtel Zigaretten gekauft - und es ging mir gut damit, auch wenn ich mich fast nicht getraut hab‘, in der Öffentlichkeit zu rauchen.) ...
Ich bin mal wieder falsch!
Ich habe es nicht verstanden. Ich hab mich gefragt, warum der so abgeht. Ich habe mir Vorwürfe gemacht, gedacht: Was stimmt nicht - MIT MIR? Ich habe mich gefragt, was ich falsch gemacht hab‘, weil ich dachte, es ist doch aber wichtig zu sagen, wenn es nicht passt, das gehört sich doch so. Da hatte ich mal eine eigene wichtige Meinung, und dann straft der mich so ab ... Ich wollte aber funktionieren und gut und annehmbar sein!
Ich habe gelitten, ich hatte ein schlechtes Gewissen, ich hatte die Bestätigung, dass ich mal wieder falsch war. So wie es immer war. Damals zumindest, rückblickend sehe ich das zum Glück anders.
Schlaf gut!
Ich hatte danach einen Therapeuten (VT) […] Es ging mitunter darum, dass ich ruhiger werden […] und den Anspannungspegel runterschrauben muss.
Irgendwann war er der Meinung, wir machen mal autogenes Training. Er hat dann so eine leiernde Kassette (ja, gab es damals noch) angemacht, meinte, ich solle mich hinlegen, die Augen schließen und zuhören und mitmachen. Na gut. Dann mach ich das mal.
Ich habe es nicht ausgehalten, weil der Therapeut nach kurzer Zeit eingeschlafen war und geschnarcht hat. Das waren mehr oder weniger amüsante Minuten. Als die Kassette dann zu Ende war, wusste ich nicht, was ich machen sollte – der Therapeut schlief!
Ich hab ihn dann irgendwann angesprochen und gesagt: Die Stunde ist vorbei. Und bin weg. […]
Patientinnen, die aus Wolken fallen
Ausschlaggebend, dass ich dort die Therapie nicht weitergeführt habe, ist folgendes: Da ich ja nicht geredet habe und angeblich immer alles schick war, hat mir der Therapeut eine (wahrscheinlich für ihn wichtige) Frage gestellt. Die Frage war:
Kann es sein, dass Sie mehr für mich empfinden und sich deshalb nicht trauen, mit mir zu reden? Ich habe das Gefühl, es macht so keinen Sinn.
Da bin ich aus allen Wolken gefallen. Auch das hab ich damals nicht verstanden. Warum stellt der mir so eine Frage, was stimmt nicht mit ihm? Hat er sich vielleicht irgendwas eingebildet? Ich hab‘ dem bestimmt keine schönen Augen gemacht! Ich doch sowieso nicht! Der spinnt doch! Also, so toll war der nun auch nicht …
Hüte dich vor Leuten, die dir helfen wollen!
Ja so war es. Und das hat mich damals echt geprägt. Sowas macht unsicher. Sowas muss nicht sein. Ich muss doch sowieso immer aufpassen, was ich sage. Immer vorsichtig sein. Also früher. Ich habe niemals einen einzigen Gedanken darüber verschwendet, dass ich den irgendwie gut finden könnte. […]
Warum nicht gleich so??
Dann habe ich es […] geschafft, einen Therapeuten zu finden, bei dem ich mich vom ersten Moment an wohl gefühlt habe und ich sofort wusste, das wird was. Klar dauerte es, aber ich habe sehr viel mitgenommen und wäre jetzt nicht auf dem Stand, wo ich jetzt bin. Es gab wenig Komplikationen, und wenn, dann war ich diejenige, die blockiert oder gezickt hat. Es war immer harmonisch, und ich hatte immer das Gefühl, es ist okay, einfach nur DA SEIN zu dürfen. Ich will mich nicht aus dem Fenster lehnen, aber das waren die besten Zeiten meines Lebens. Ich habe gelernt, dass es okay ist, dass es mich gibt, gelernt, dass Gefühle zwar Scheiße sind, aber doch irgendwie vorhanden.
Und ich habe es bewusst mitbekommen, dass es außer Lug und Trug und Gehässigkeit auch noch was anderes im Leben gibt. Ich habe lernen dürfen, dass ich doch in irgendeiner Art und Weise wichtig bin und es sich nicht immer darum dreht, nur zu funktionieren. Ich durfte Schwäche zeigen – wenn ich es zulassen konnte. Ich durfte frech sein – na das bin ich von Haus aus – aber das war in Ordnung. Ich hatte nicht einen einzigen Moment in der Therapiezeit, wo ich dachte, ich wäre fehl am Platz – was ich leider zu oft noch denke. Ich fühlte mich sicher und […] geborgen. […]
Konzepte, aber …
Ich habe nun einen Therapeuten […] der sich starr auf sein Therapiekonzept fokussiert. Das gestaltet sich schwierig, wenn man mit mir Therapie macht. Dafür denk ich, glaub‘ ich, zu weit. Und wenn ich mir von Haus aus meine Fragen selbst beantworten muss und soll, dann brauch ich da ja im Grunde auch nicht hin. Dann kann ich mich ja auch vor den Spiegel stellen und Selbstgespräche führen. Nicht so ganz einfach.
Und diese ganzen Diagnosen, an denen sich die Ärzte und Therapeuten festhalten, finde ich sehr übertrieben. Man geht zum Arzt, nach 10 min Gespräch kommt dann ‘ne Diagnose, und daran wird festgehalten […]
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Kommentare
Kommentar von Jasmin Reis |
Wenn ich das nochmal so höre und reflektiere, muss ich zugeben, dass mir da einiges wieder hochkommt. So ein Vollpfosten damals. Er war es auch, der es mir in der "guten" Therapie so schwer gemacht hat. Ich hab immer aufgepasst, was ich sage, damit man nicht wieder denkt, der Therapeut könnte irgendetwas falsch interpretieren und dann ist es aus. Es prägt einfach. Zum Glück weiß ich es mittlerweile besser.
Antwort von Michael Mehrgardt
Hallo, Jasmin,
das habe ich oft erzählt bekommen, dass schlechte Erfahrungen eine/n Pat. nachhaltig prägen können, so dass die Prognose für eine neue und möglicherweise gute Therapie schlechter wird. Wie traurig!
Herzliche Grüße,
Michael Mehrgardt
Kommentar von Silke |
HALLO Jasmin, fing dein schnarchender Therapeut mit O. an? So einen hatte ich auch, vielleicht war es derselbe. Die Dinge, die du erlebt hast, sind für mich unerträglich, aus dem Grund würde ich, glaube ich, keine Therapie mehr anfangen. Michael war ein großes Glück. Ich bin zu müde zum Suchen. Da hast du ja einiges durchgemacht. Gruß Silke
Kommentar von Jasmin Reis |
Hallo Silke.
Danke für deine Rückmeldung. Nein, er fing nicht mit O. an.
Ja, manches war wirklich prägend und behinderte leider oft meine Therapiezeit mit Michael. Oder besser gesagt, haben manche Erfahrungen mich lange Zeit selbst behindert.
Herzlichen Gruß, J.
Antwort von Michael Mehrgardt
Offenbar gibt es mehrere "Schnarcher" ... ;-)
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